Russische Uhren
Funkfeuer-Uhren
Bis zum Beginn des 20sten Jahrhunderts war die Navigation in küstennahen Gewässern auf optische und akustischen Signale angewiesen. Leucht-Feuer und Richt-Feuer wurden angepeilt, um Informationen über die Fahrtrichtung, Fahrwasserbegrenzungen und Untiefen zu erhalten. Zur Positionsbestimmung waren sie jedoch nur sehr bedingt geeignet, da es dazu einer Kreuzpeilung bedarf.
Handtkes Karte der Ostsee-No IV |
Nebenkarte des „Kronstädter Busen“ |
Auf der abgebildeten „Handtkes Karte der Ostsee-No IV“ aus dem Jahr 1847 ist gut zu erkennen, dass es damals bereits zwischen „Gottlan“ im Nord-Westen und auf der Strecke vom „Putziger Wiek“ bis Riga insgesamt neun Leucht-Feuer gab.
Auf der großen Nebenkarte des „Kronstädter Busen“ hingegen ist zu erkennen, dass es in diesen russischen Gewässern Mitte des 19. Jahrhunderts noch keine Befeuerung für die Navigation der Schiffe gab. Das änderte sich erst ab 1877, als Julius Pintsch die ersten Leucht-Bojen im Fahrwasser zwischen St. Petersburg und Kronstadt verlegte.
Die optischen und akustischen Seezeichen wurden ab 1903 mit der technischen Anwendung der Hertzschen Wellen ergänzt. In den folgenden Jahren entstanden an Land große Sendeanlagen für Richtsender und an Bord der Schiffe die entsprechenden Empfangsanlagen.
1924 wurde damit begonnen, die Luftschall- und Wasserschall-Sender von vier deutschen Feuerschiffen durch Funk-Nebelsignale zu ergänzen. 1926 einigten sich die zivile Schifffahrt und die Marine darauf, diese Signale „Funkfeuer“ zu nennen. Und 1928 wurde der Ausbau der Funkfeuer in der Nordsee abgeschlossen.
Die Zahl der Funkfeuer nahm schnell zu. Es gab aber nicht genügend Frequenzen, um jedem Funkfeuer eine eigene zuzuteilen.
Das erste deutsche Feuerschiff, die „Borkumriff“, wurde 1925 von der Firma Telefunken mit einem Funkfeuer ausgerüstet. Die zum Lieferumfang gehörende Schaltuhr hatte konstruktive Mängel und erfüllte nicht die vereinbarten Normen.
Das „Seezeichenversuchsfeld“ in Friedrichshagen, Berlin, hatte daraufhin mit Paul Stübner in Glashütte eine neue Schaltuhr entwickelt. Stübner war Werkmeister für Chronometer-Rohwerke bei Strasser & Rohde (Glashütte) und hat auch in Hamburg für die dortigen Chronometerwerke gearbeitet. „Stübner Uhren“ waren bis in die 1950er Jahre im Einsatz.
Die Bilder des Stübner-Schaltchronometer hat mir dankenswerterweise ein befreundeter Sammler von Chronometern aus Norddeutschland zur Verfügung gestellt.
Die Firma Julius Pintsch hat parallel zu Stübner einen eigenen Schalt-Chronometer entwickelt.
Julius Pintsch (1815 – 1884) hatte als Erfinder und Unternehmer mit seinen Fabriken in Berlin und Fürstenwalde an der Spree maßgeblichen Anteil an der Entwicklung von Seezeichen und deren Steuerung. Die Geschichte der Pintsch-Leuchtbojen für Küsten und Wasserstraßen geht auf eine russische Anregung zurück.
Darüber schreibt Martin Kornrumpf in: „Mehr Licht...“, Pintschwerke in Fürstenwalde (Spree) 1872 – 1945:
„Nachdem die Verwendung des komprimierten Fettgases als bewegliche und bewegbare Waggonbeleuchtung sich so ausgezeichnet bewährt hatte, erfuhr Julius Pintsch jun. („Jules“) von einem hohen russischen Beamten während einer Bahnfahrt Petersburg – Moskau sozusagen „nebenbei“, dass Russland nicht nur an der Beleuchtung mit Pintsch-Gas in den Zügen interessiert wäre, sondern in weit höherem Maß an der Beleuchtung von Küsten und Wasserstraßen.
Bekanntlich gefährden zahlreiche Untiefen und Schiffsverkehr im Finnischen Meerbusen zwischen St. Petersburg (Leningrad) und dem russischen Kriegshafen Kronstadt. Bei Dunkelheit ruhte damals der Verkehr, und wegen der langen nordischen Nächte war das höchst unerwünscht.
Ausreichende Erfahrungen mit dem Bau großer eiserner Schwimmkörper für einen Hochsee-Einsatz hatte Pintsch beim Minenbau gesammelt. Die Anregung der Russen genügte, mit der Konstruktion und bald auch mit dem Bau von Leuchtbojen zu beginnen. Wie man vorher, um jede Einzelheit der Zugbeleuchtung zu testen, im Versuchswagen zwischen Berlin und Breslau hin und her gependelt war, so tat es jetzt Jules mit dem Pintsch-Repräsentanten in St. Petersburg, Cule.
Als die erste Leuchtboje fertiggestellt worden war, fuhren beide im November 1876 wochenlang nachts mit einer kleinen Barke heraus, um im Finnischen Meerbusen diese bahnbrechende Neuerung zu erproben.
1877 wurden die ersten Leuchtbojen im Fahrwasser zwischen St. Petersburg und Kronstadt verlegt. Für die großartige Leistung verlieh Zar Alexander II. dem dreißigjährigen Jules den Stanislaus-Orden.“
Die ersten Schaltmechanismen, „Sonnenventile“, die ein Leuchtfeuer bei Tageslicht abschalten, um Brennstoff zu sparen, hat Pintsch dann 1905 gebaut.
Pintsch blieb auch bei den Schalt-Chronometern für Funkfeuer führend und wurde bald – wie schon zuvor bei den Leuchtbojen – auch auf diesem Gebiet Marktführer in Deutschland.
Die Bilder zeigen die „Pintsch-Uhr“ russischer Bauart mit der Serien-Nummer 2177.
Auf die Technik dieses Schalt-Chronometers gehe ich später ein.
Im April 1931 wurden in London für die Funkfeuer von Norwegen bis zur Loire erste Normen beschlossen:
„Die Seefunkfeuer sind in Gruppen von nicht mehr als drei Feuern zusammenzufassen. Reichweiten; Wellenlängen, Tonhöhen und Sendezeichen haben den Angaben des Planes (Karte) zu entsprechen. ... Die drei Funkfeuer jeder Gruppe senden nacheinander von 0 bis 2 bzw. 2 bis 4 bzw. 4 bis 6 Minuten mit einer Wiederkehr von 6 Minuten.
Bei sichtigem Wetter sind die Signale höchstens jede halbe Stunde abzugeben und nicht mehr als zwei aufeinanderfolgende Sendungen. Um sicher zu sein, dass diese Sendezeichen genau eingehalten werden, sind Funkfeuer durch Uhren zu steuern.“
(Gerhard Wiedemann (Hrsg.): Das Deutsche Seezeichenwesen, S. 107)
In Abkommen von Paris, Juli 1933, und Stockholm, Oktober 1933, wurden die Londoner Bestimmungen spezifiziert:
„Die maximale Dauer einer Aussendung beträgt zwei Minuten weniger zehn Sekunden, um Überlappungen von Funkfeuern der gleichen Gruppe zu vermeiden.“ (Ibid, S. 246) Für die exakte Einhaltung des Sendeplans wurde ein Chronometer gefordert.
Nach dem Krieg gab es in den Westzonen erhebliche Engpässe bei der Versorgung mit Seezeichen, Schaltuhren und Kennungsgebern, da die wichtigsten Produktionseinrichtungen in der Sowjetischen Zone lagen.
Die „Pintsch-Elektro GmbH“ in Konstanz am Bodensee hat noch 1955 einen Prospekt „Durch Uhr gesteuerte Kennungsgeber für Funkfeueranlagen“ herausgegeben, in dem die Kontaktuhr beschrieben ist.
Im Osten war die Versorgungslage nicht besser – auch wenn dort das Seezeichen-Versuchsfeld Friedrichshagen und die Pintsch-Anlagen in Fürstenwalde lagen.
Das Pintsch-Werk, so ist in der Firmenchronik von Martin Kornrumpf nachzulesen, war am 16. April 1945 von russischen Fliegern bombardiert worden. Dabei wurde das Zentrum des Werksgeländes geschont – offensichtlich gezielt, wie Kornrumpf schreibt, denn unmittelbar nach der Kapitulation begann die Demontage durch die Sowjetische Militäradministration.
Das Schalt-Chronometer von Pintsch lebt für russische Gewässer weiter. Die 2. Moskauer Uhrenfabrik hat es als > КОНТАКТНО ПУСКОВЫХ ЧАСОВ < (К.П.Ч.) - Kontakt-Geber-Uhr (Uhr zur Inbetriebsetzung von Kontakten) - in ihr Programm für Spezial-Uhren aufgenommen.
Die ersten Gehäuse hatten noch das starre Rohrbügel-Gestell aus Fürstenwalde, wie an der deutschen Beschriftung zu erkennen ist. Das Gestell hat die Serien-Nummer 51132. Es trägt, in Expandern federnd gelagert, die russische Kontakt-Geber-Uhr mit dem klassischen Schalt-Mechanismus und der Serien-Nummer „No 1297“.
Das russische Gestell für das К.П.Ч. ist zweiteilig. In einem festen Sockelrahmen befindet sich ein um die Mittelachse schwenkbarer Rahmen, in dem die Uhr, hier mit der Serien-Nummer No 0909, in ihrem Gehäuse mit Expandern federnd gelagert ist. Dieser innere Rahmen kann über eine Feststellschraube fixiert werden.
Wir haben es hier mit einer Halb-Kardanik zu tun, wie wir sie beispielsweise von dem beschriebenen Doppel-Chronometer „Kirow 91 / Kirow 92“ kennen.
Das К.П.Ч. ist ein kleines Wunderwerk der Technik:
- mit einem komplexen Räderwerk und einer Begrenzung der Federkraft mit einer Malteserkreuz-Stellung
- mit einer Vorrichtung für das „Ablaufen“, mit der die Feder des Chronometers entspannt und das Zeigerwerk im Schnelllauf vorgestellt werden kann und das durch eine „Fliehkraft-Bremse“ gedrosselt wird
Und
(9) “No 2177 _ Ablaufen_Film“
- mit einem Remontoir, das das komplette Räderwerk und damit auch die Zeiger und das Schaltrad in einem 15-Sekunden-Takt steuert
Und
(11) “No 2177 _ Remontoire_Film“
- mit einer Präzisions-Hemmung aus der 1. Moskauer Uhrenfabrik / Poljot, wie sie auch für die B-Uhr genutzt wird
- mit einem kleinen Schaltrad mit einer Umlaufzeit von einer Minute. Es schließt den Kontakt nach 45 Sekunden und öffnet wieder nach 60 Sekunden.
Der getaktete Bereich ist auf dem Hilfs-Zifferblatt für die kleine Sekunde rot gekennzeichnet. - mit einem bedarfsgerecht austauschbaren Satz von zwei Schaltrad-Paaren zur Taktung der Impulse für die Signale „Nebel“ und „heiter“.
Die Schalträder sind mit dem Minuten-Rad gekoppelt und haben damit eine Umlaufzeit von 60 Minuten.
Das abgebildete Schaltrad des „К.П.Ч._No 1189“ hat auf der oberen Seite zwei Räder mit je zehn Noppen für einen 3-Minuten-Zyklus (3 МИН. ЦИКЛ.).
Damit wird zehn Mal in einer Stunde für drei Minuten das Nebel-Signal gesendet.
Auf der unteren Seite hat es zwei Räder mit je vier Noppen.
Damit wird jeweils zur halben Stunde vier Mal für drei Minuten ein Signal bei heiterem Wetter gesendet.
Andere Schalträder, wie bei dem „К.П.Ч._No 0909“ und bei dem „К.П.Ч._No 1297“ haben für das Signal bei heiterem Wetter das gleiche Räderpaar wie das „К.П.Ч._No 1189“.
Das Räderpaar für das Nebel-Signal hat jedoch je 20 Noppen für einen 3-Minuten-Zyklus. Diese Schalt-Chronometer schalten also in einer Stunde 20 Mal für drei Minuten das Nebel-Signal.
Einige der Kontakt-Schalt-Uhren russischer Bauart sind offensichtlich für einfache Schaltungen eingesetzt worden.
So hat eines der ersten dieser Schalt-Chronometer, das „К.П.Ч._No 0148“ aus dem 1. Quartal 1954, nur ein einfaches Schaltradpaar aus Bakelit mit nur einer Schaltung pro Stunde.
Da eine solche Schaltung für das Takten von Funkfeuern keinen Sinn macht, gehe ich davon aus, dass dieses Chronometer - nachdem es ausgesondert wurde - für eine einfache Schaltung weitergenutzt wurde.
Das Gleiche dürfte auch für das „К.П.Ч._No 1275“, das immerhin zwei Schaltkreise hat, gelten.
Es bleiben einige Fragen zu dem „К.П.Ч.“ offen.
Ich stelle sie am Beispiel des „К.П.Ч._No 0909“:
Das Schaltrad-Paar für das Nebel-Signal trägt die Beschriftung: „3-Minuten-Zyklus“. Das Zifferblatt hat einen austauschbaten Ring mit der Minuteneinteilung und sechs rot sowie vier blau gekennzeichneten Sektoren für jeweils zwei Minuten. Die Rückseite dieses Ringes trägt die Kennung: „6 МИН. ЦИКЛ.“ also für einen 6-Minuten-Zyklus.
Und auf dem Sockel für den Rahmen dieses „К.П.Ч._No 0909“ stehen neben dem Schalter die Zahlen „5“ für Nebel und „15“ für heiter.
Andere Schalt-Chronometer wie beispielsweise das „К.П.Ч._No 0148“ und das „К.П.Ч._No 2177“ haben auf dem austauschbaren Ring für die Minuteneinteilung zehn rote Markierungen für jeweils eine Minute. Die Rückseite dieses Ringes trägt die Kennung: „3 МИН. ЦИКЛ.“ also für einen 3-Minuten-Zyklus.
Weitere Fragen, die ich nicht beantworten kann, betreffen das Hilfs-Zifferblatt für die kleine Sekunde:
Die Beschriftung entspricht nicht dem „normalen Empfinden“ eines Uhrenfreundes, da dort, wo man die „60“ erwartet, die „15“ steht. Das Zifferblatt ist also um 90 Grad nach links gedreht.
Und der rot gekennzeichnete Bereich für die Schaltung über das „Kleine Schaltrad“ (s. oben) geht von „58“ bis „13“.
Auch die weiter oben eingebundene “Beschreibung und Betriebsanleitung“ gibt keine Antwort auf meine offenen Fragen.