Russische Uhren
ALS-Reparationen
Die „Erst-Ausrüstung“ russischer Schiffe nach dem Krieg bestand aber aus Reparationen, die A. Lange & Söhne leisten musste, und aus 600 Chronometer-Rohwerken, die aus dem reichseigenen Lager der Deutschen Seewarte nach Moskau verbracht wurden.
Die „Rote Armee“ hat am letzten Tag des Krieges, am 8. Mai 1945, Glashütte besetzt und an diesem Tag fielen auch die einzigen Bomben des Krieges auf Glashütte. Sie trafen das Hauptproduktionsgebäude von A. Lange & Söhne.
Nach dem Krieg wurden – mit einer Ausnahme – alle Uhrenmanufakturen in Glashütte demontiert und als Reparation auf dem Schienenweg nach Moskau gebracht. In Moskau angekommen ist jedoch nur der Transport mit allen Einzelteilen der beiden Manufakturen „UFAG“ und „UROFA“, die während des Krieges die „TUTIMA“, das UROFA-Kaliber 59, als Flieger-Armbanduhr gebaut haben.
In Gesprächen mit Zeitzeugen aus Glashütte, die diese Transporte begleitet haben, wurde mir berichtet, dass fast alle anderen Kisten an der Ostgrenze Polens, bei der geplanten Umladung von der westeuropäischen „Normal-Spur“ (1435 mm) auf die russische „Breit-Spur“ (1524 mm) - wie sie mir sagten - „in den Graben gekippt“ wurden.
Die erwähnte Ausnahme war A. Lange & Söhne (ALS). Hier war nicht die durch den Bombenangriff beschädigte Fabrik die Reparation sondern Marine-Chronometer und B-Uhren, die in großen Stückzahlen an die Sowjetunion geliefert werden mussten.
ALS hat in Werkstattbüchern und im „Versandbuch-Original“ alle Uhren dokumentiert. Ich habe das „Versandbuch-Original“ vom Kriegsende bis Ende 1948 auf die Reparationsleistungen ausgewertet. Dabei unterscheide ich drei verschiedene Empfänger dieser Leistungen:
- Einzelpersonen
- staatliche Institutionen
- mittelbare Leistungen.
Zu Einzelpersonen schreibt Walter Lange in seinen Memoiren: „Als die Zeit nach Hause kam“ u.a.:
„Am nächsten Tag (9. Mai 1945, d. Verf.) hatten wir eine weitere >Feindberührung<: Ich saß mit meinen Eltern beim Frühstück, als die Tür zum Esszimmer aufging und der erste russische Soldat hereintrat. Er blieb nicht der Einzige, den ganzen Tag über kamen Russen, und alle wollten Uhren. Ich musste immer wieder mit in die Fabrik und bekam die Pistole auf die Brust gesetzt mit der Androhung: >Fünf Minuten, wenn nicht Uhr<. Aber es gab keine Uhren mehr, alles im Haus war restlos geplündert, sämtliche Schubladen ausgekippt, unsere Wohnung und die noch vorhandenen Produktionsstätten waren ein einziges Chaos.“
Diese persönliche Erfahrung von Walter Lange ist der besonderen Zeit geschuldet. Und die Soldaten der „Roten Armee“ unterscheiden sich in dieser besonderen Kriegs-Situation nicht von den Soldaten anderer Armeen.
Das änderte sich bereits wenige Wochen später, als andere sowjetische Offiziere Uhren von Lange bekamen. Diese tragen im Versandbuch oft den Hinweis: „Versandart: persönlich“ und in der Rubrik >Gesamtbetrag<: „Betrag erhalten“.
Zu den staatlichen Institutionen zählen die in ihrer Zuständigkeit für die Reparationen wechselnden sowjetischen Behörden wie beispielsweise „Komitenta B/O Technopromimport“ und Dienststellen der SMAD.
Als mittelbare Leistungen sind ab 1948 Chronometer und B-Uhren auch direkt und indirekt an Werften, die für russische Schiffe gearbeitet haben, geliefert worden. Zu diesen Werften gehörten die am 27. April 1946 gegründete Schiffsreparaturwerft der Roten Armee in Wismar, die nach dem Krieg in die sowjetische Aktiengesellschaft „SAG Neptun“ umgewandelte Werft in Rostock und auch die „V V W Elbewerft Boizenburg VEB“
In der Summe weist das Versandbuch-Original von der ersten verbuchten Reparation am 16. Juli 1945 bis Ende 1948 folgende Mengen aus:
- 402 Chronometer – davon 297 Deutsche Einheits-Chronometer
- 425 Flotten-Chronometer Typ „B“
- 303 Flotten-Uhren (B-Uhren) einschließlich anderer Präzisionsuhren
Im Folgenden beschreibe ich die Reparationen von ALS nach diesen drei Unterscheidungen.
Ein Vergleich dieser Quantitäten mit den Zahlen der Chronometer aus der Zarenzeit erscheint nicht zulässig, da der Bedarf an Schiffs-Uhren in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre um ein vielfaches höher war als vor dem Ersten Weltkrieg.
Einen Vergleich zum Bedarf bietet ein Schreiben der Landesverwaltung Sachsen vom 3. Oktober 1946 über den Verbleib von 600 Chronometer-Rohwerken des Deutschen Seewarte. Dort heißt es u.a.:
„... denn bei Kriegsende lagen ca. 600 solcher Chronometer-Rohwerke im Amtsgericht in Lauenstein und hätten den Bedarf der Deutschen Kriegsmarine auf mehr als 1 Jahr gedeckt.“
Berücksichtigt man, dass es nach dem 8. Mai 1945 keine kriegsbedingten Verluste mehr zu verzeichnen waren, dann ist der Schluss zulässig, dass die Reparationen von A. Lange & Söhne zu einer Vollausstattung der russischen Marine geführt haben.
Für die eigene Chronometer-Produktion bestand damit kein akuter Bedarf.
Die ersten „russischen“ Chronometer sind- auf Basis der 600 Rohwerke aus Lauenstein - im Jahr 1949 fertiggestellt worden.